Tuesday, April 12, 2005

 
Die Geschichte vom Soldaten

(Text für Trio Version)

Igor Strawinsky (Igor Stravinsky, 1882-1971) schrieb "Histoire du soldat" ("The Soldier’s Tale"; "to be read, played and danced") im Jahre 1917 in Zusammenarbeit mit dem Waadtländer Dichter Charles Ferdinand Ramuz (1878-1947). Das Werk ist ein Musik-Theater für kleines Ensemble — es war für eine Wanderbühne geschrieben — bestehend aus einem Vorleser (narrator), zwei Schauspielern, einer Tänzerin und sieben Musikern. Für den Theatertext benutzte Ramuz zwei Geschichten aus einer Sammlung russischer Märchen von Alexander Afanasiev (1826-1871). Der Text wird teils in Gedichtform vom Vorleser zusammen mit der Musik rhythmisch deklamiert, teils vom Vorleser und den Schauspielern (Soldat, Teufel) als Drama gesprochen (wobei der Vorleser meist noch in Reimen und der Teufel nur im Dialog mit dem Soldaten spricht).

Der originale französische Text wurde ins Englische übertragen von Michael Flanders und Kitty Black und die deutsche Nachdichtung ("Die Geschichte vom Soldaten") stammt von Hans Reinhart, dem Bruder des Winterthurer Kunstmäzens Werner Reinhart, der die Uraufführung des Werkes ermöglichte (1918 im Théâtre Municipal de Lausanne unter der Leitung von Ernest Ansermet) und dem auch dieses Werk gewidmet ist.

1919 bearbeitete Strawinsky fünf Sätze von "Histoire du soldat" für Geige, Klarinette und Klavier, die unter dem Titel "Suite from ‘The Soldier’s Tale’" erschienen. Für diese Trio Version gibt es ursprünglich keinen Text.

2001 hatte der Geiger Vladimir Tsypin die Idee, dieser Trio Version einen russischen Text hinzuzufügen, der von seiner Frau, Luba Tsypin, in Gedichtform angefertigt wurde. Eine englische Übersetzung von Luba Tsypins Text diente mir — zusammen mit der Reinhartschen Nachdichtung — als Vorlage für meine deutsche Nachdichtung, in der ich die Reinhartschen Strophen der rhythmisch zu deklamierenden Verse einsetzte. 2002 führten wir (Vladimir Tsypin, Mark Nuccio, Rolf-Peter Wille) diese Version in Deutschland auf, wobei ich den Text am Klavier sitzend vor und zwischen den Sätzen vortrug. Da die fünf Sätze im Vergleich zum Text etwas zu kurz sind, wiederholten wir den ersten, zweiten und fünften Satz (1, 2, 1, 2, 3, 4, 5, 5).

(Rolf-Peter Wille)

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Die Geschichte vom Soldaten

(von Rolf-Peter Wille; Strophen in Kursivschrift von Hans Reinhart)

Erstes Kapitel:

Zwischen Chur und Wallenstadt
heimwärts wandert ein Soldat.
Urlaub hat er vierzehn Tag,
wandert was er wandern mag.
Wandert über Stock und Stein.
Freut sich längst daheim zu sein.


(Part 1: March)


Zweites Kapitel:

Viele Meilen, viele Meilen
mußte der Soldat noch eilen.
Endlich, an des Flusses Saume
konnt’ er ruhen unter’m Baume.
Spielte dort mit froher Miene
seine alte Violine.

(Part 2: By the Brook)


Drittes Kapitel:

Da schlich, verkleidet als ein Greis,
der Teufel sich heran, ganz leis’.

Angelockt von süßen Klängen
wollt’ er den Soldat bedrängen,
ihn das Geigenspiel zu lehren.
Der Soldat konnt’s nicht verwehren.

"Willst Du mir die Fiedel geben?
Nimm’ dies Buch. Es ist Dein Leben!"

"Ach, lieber, guter, alter Mann,
Bedenkt, daß ich nicht lesen kann."

"So mach’ doch mal nur den Versuch."

Der Soldat ergriff das Buch.
Es faßte ihn sein Zaubersinn.
Da gab er seine Geige hin.

Und der Teufel hob den Bogen
hat ihn wild herumgezogen.
Ach, was war das für ein Streichen.
Doch kein Ton schien zu entweichen
dieser miserablen Geige.

"Horch’, Soldat, komm’ her und zeige
mir, wie man es macht."

Der Soldat hat nur gelacht.

"Lach’ nur…, ich nehm’ Dich nach Hause
dort, in meine stille Klause.
Lehre mich das Geigenspiel.
Iß und trinke nur so viel
wie es dann Dein Herz begehrt.
Hast Du mich das Spiel gelehrt,
darfst Du wieder weitereilen.
Nur drei Tage sollst Du weilen."

Der Soldat war recht zufrieden
hat den Teufel nicht gemieden.
Wie ein König in dem Schlosse
thronte er auf hohem Rosse.
Und nach nur drei kurzen Tagen
flog dann mit dem Pferdewagen
flugs nach Hause er geschwind,
heim zu Mutter, Frau und Kind.

Zu früh gefreut, der Herr Soldat,
und zu spät bereut die Tat:
Nicht drei Tage war er fort -
nein, drei Jahre an dem Ort.
Viel zu lang war er verreist,
in der Heimat nun ein Geist,
und in seinem Dorf erkannten
ihn nicht einmal die Verwandten.

Ach, er könnt’ den Teufel hassen,
denn er mußt’ sein Dorf verlassen.

Zwischen Chur und Wallenstadt
wandert weiter der Soldat.
Wandert, wandert, steht nicht still.
Keiner weiß, wohin er will.
Über Bach und Brückenbogen
ist er wandernd hingezogen
auf dem Weg nach Wallenstadt.
Ob er dort wohl Heimat hat,
ach, dies’ Glück bleibt ihm verwehrt,
geht, den Rücken abgekehrt,
weiter, weiter seinen Weg
über Stock und Stein und Steg.


(repeat Part 1: March)


Viertes Kapitel:

Viele Meilen, viele Meilen
mußte der Soldat noch eilen.

Einst im Lärm von Pferdehufen
hörte er den Herold rufen:
"Aufgemerkt, ihr lieben Leut’:
Unser König sagt euch heut’,
seine Tochter, die Prinzessin,
will nicht trinken und nicht essen.
Kann ein braver Mann sie heilen,
ja, dann soll er sich beeilen,
und er gibt ihm wohl als Pfand
seiner hübschen Tochter Hand.’"

Der Soldat hatt’s kaum vernommen,
hatte sich bereits besonnen,
und er eilte ohne Rast
zu dem König im Palast.

(repeat Part 2: By the Brook)


Fünftes Kapitel:

Ja, er war gewiß nicht feige.
Doch es fehlte ihm die Geige.
Wenn er nur die Fiedel hätte,
daß er die Prinzessin rette!

Und so sprach er schnell: "Durchlaucht:
Für die Heilung man noch braucht
ganz bestimmte Arzenei’n -
Kerzen, Karten, guten Wein."

Alles dies ward ihm gebracht.
Und er hatte lang gewacht -
ja, es war grad’ Mitternacht -
hatte es nicht leis’ gelacht?

Luzifer im Zimmer stand
mit der Geige in der Hand.
"Ach, Soldat, was trinkst Du Wein?
Kannst Du nicht mehr glücklich sein
ohne Deine Violine?
Schau’ nur, diese trübe Miene…"

"Still, mein Freund, ich kann nicht warten.
Setz Dich hin. Wir spielen Karten.
Wenn Du siegst, so bin ich Dein.
Sonst wird morgen Hochzeit sein.
Trink den Wein. Du wirst gewinnen.
Gleich soll unser Spiel beginnen."

Doch der schwere, süße Wein
war zu stark für’s Teufelein.
Seht, er trank davon zuviel -
Luzifer verlor das Spiel.

Schnell nahm der Soldat die Geige,
daß er der Prinzessin zeige
seine virtuose Kunst.
Und er warb um ihre Gunst
mit dem holden Geigenklange.

Lauscht dem lieblichen Gesange:

(Part 3: Little Concert)


Sechstes Kapitel:

Ja, es war ein wahres Wunder:
Die Prinzessin ward gesunder
und auch muntrer als zuvor.
Oh, sie gab nicht nur ihr Ohr
sondern auch ihr Herz dahin
an die bunten Melodien.
Und sie wollte nur den ganzen
langen Tag noch Tango tanzen.

(Part 4: Tango, Waltz, Ragtime)


Siebtes Kapitel:

Der Soldat und seine Braut
waren nun bereits getraut.
Bei dem reichen Hochzeitsessen
schien der Teufel schon vergessen.

Doch der Beelzebub entsann
einen finstren Racheplan.
Der Soldat als Prinzgemahl
hatte leider keine Wahl,
da der Teufel ihm befohlen:
"Wart’, ich werd’ Dich doch noch holen.

Ja, soweit ging alles gut.
Aber nun sei auf der Hut!
Bis zur Grenze! Dann gib acht!
Bist sonst neu in meiner Macht!

Wag’ nicht zu viel, sonst, Freund, ich wett’,
muß Fräulein Braut zurück ins Bett.
Und was Euch, Herr, betrifft: in Huld,
nun reißt mir gänzlich die Geduld.

Führ’ Dich stracks hinab zur Höll’!
Brat’ am Spieß Dich auf der Stell’!


(Part 5: The Devil’s Dance)


Achtes Kapitel:

Immer weiter tickt’ die Uhr.
Der Soldat vergaß den Schwur.
Alles hatt’ er auf der Welt:
Reichtum, Liebe, Macht und Geld.

Doch er mochte nicht sein Glück,
sehnte sich nach Haus zurück.
Seine Mutter wollt’ er suchen,
tät’ ihm auch der Teufel fluchen.

Und so ging er bis zur Grenze.
Sieh’, da stand schon der Geschwänzte.
Mit der Geige in der Hand
hat er den Soldat verbannt.

Und er geigte auf der Stelle
den Soldat hinab zur Hölle.

(repeat Part 5: The Devil’s Dance)


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